Nominiert in der Kategorie Utilities & Stadtwerke 2015

Netze BW

In Niederstetten im Nordosten von Baden-Württemberg trifft eine hohe volatile Einspeisung aus dezentralen Quellen wie Wind und Photovoltaik in einigen Teilen des Mittelspannungsnetzes auf einen hohen Energiebezug aus benachbarten Industriegebieten. Daraus ergeben sich insbesondere in Bezug auf die Spannungshaltung zunehmende Herausforderungen für die Netzplanung.

Im Pilotprojekt „NETZlabor Niederstetten“ sollen diese nach dem Motto „Köpfchen statt Kupfer“ gelöst werden. Durch dezentrale Technologien zur Spannungsregelung und Netzautomatisierung wird die bestehende Netzinfrastruktur optimal ausgenutzt, große Baustellen für Netzverstärkungsmaßnahmen können somit vermieden werden.
Netze BW setzt dabei auf bewährte und weiterentwickelte Automatisierungslösungen des Projektpartners Siemens.

Ein dezentraler Netzcontroller übernimmt die Überwachung und Steuerung von neun fernwirktechnisch erschlossenen Schwerpunktstationen im insgesamt 84 Ortsnetzstationen umfassenden Mittelspannungsnetz auf der Gemarkung Niederstetten. Gleichzeitig wird mit diesem Controller auch die Weitbereichsregelung von zwei in Deutschland erstmals eingesetzten Mittelspannungsstrangreglern aus dem Hause Siemens realisiert.

Dieses Gesamtsystem, welches aktuell aufgebaut und im Herbst 2015 in Betrieb genommen wird, ermöglicht es, die Energiewende im Verteilnetz effizient voranzutreiben. Es macht die Lastflüsse im Mittelspannungsnetz sichtbar, regelt das Spannungsniveau zur Einhaltung der gültigen Normen und ermöglicht es, Störungen noch schneller zu erkennen und vollautomatisch einzugrenzen.

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Dossier mit kaufmännischen und technischen Eckdaten

Die Ergebnisse aus Wildpoldsried waren überraschend: Es zeigte sich, dass das Strom-netz wesentlich größere Reserven besitzt als gedacht. Darum wird es nicht nur bald das weiterführende Projekt „Irene 2“ geben. Es stellte sich nämlich heraus, dass viele andere Netzbetreiber aus den Ergebnissen des ersten Projekts lernen wollten. So viele, dass die AÜW die Tochtergesellschaft Egrid gründeten, die die Betreiber nun bei ihren Projekten berät. Schließlich kann Rat von außen nie schaden. 
Zum anderen ließ er forschen. Das Dorf Wildpoldsried wurde zum Probanden für das Pilotprojekt „Irene“. Die 2500-Seelen-Gemeinde gilt als Deutschlands „Energiedorf“, weil sie mehr als das Fünffache ihres Eigenbedarfs an Strom mit regenerativen Energien erzeugt. Drei Jahre lang simulierten die AÜW in Wildpoldsried, welche Anforderungen auf das Management des Verteilernetzes zukommen, wenn die zwei Ziele der Bundesregierung für 2020 landesweit erreicht werden. Eins davon lautet: 35 Prozent des Stroms sollen aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Weil als zweites Ziel im Jahr 2020 auf Deutschlands Straßen eine Million Elektroautos fahren sollen, stellten die AÜW darüber hinaus 50 Einwohnern Elektroautos zur Verfügung. Bei der Durchführung des Drei-Millionen-Euro-Projekts wurden die AÜW vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert.
Eine entscheidende Frage jedoch war: Sind die Überlandleitungen der steigenden Ein-speisung dezentraler Energieerzeuger überhaupt gewachsen? Darum beschritt Lucke gleichzeitig zwei Wege. Zum einen werden die AÜW bis 2022 insgesamt 28 Millionen Euro in ihr Netz investieren, die Hälfte des Ausbaus ist bereits abgeschlossen.
Gleichzeitig entstanden für 120 Millionen Euro acht Solarparks mit einer Kapazität von rund 21 Megawatt. Darüber hinaus laufen Planungen für Pumpkraftwerke. Insgesamt haben die AÜW bereits mehr als 100 Millionen Euro in die Eigenerzeugung investiert. Das hat sich ausgezahlt: In Luckes Amtszeit verdoppelte sich der Umsatz der AÜW von 110 auf 220 Millionen Euro.
Ein Schwerpunkt war der Ausbau der Wasserkraft. Lucke investierte 55 Millionen Euro, mit denen er nicht nur zwei neue Werke plante, die derzeit gebaut werden, sondern auch bestehende Anlagen erneuerte. Etwas völlig Neues probieren die AÜW an einer Wehranlage eines ihrer Wasserwerke: Dort soll eine ins Wasser gelassene Miniturbine Strom produzieren. Sollte der Versuch erfolgreich sein, wäre das der Startschuss, die insgesamt 750 Wehranlagen im Allgäu zu Stromerzeugern auszubauen. Lag die Wasserkraftquote der AÜW bei Luckes Amtsantritt noch bei zehn Prozent, war sie 2013 bereits auf 16 Prozent gestiegen, 2014 soll sie die 20-Prozent-Marke überschreiten – eine Verdoppelung gegenüber 2004.
2004 wurde Lucke hier Chef. Zuvor hatte er als Unternehmensberater gearbeitet, und jetzt wandte er im neuen Job an, was er dort als Erfolgsrezept kennengelernt hatte. Erstens: strategische Fragen stellen. Konkret: „Wie wird die Energiebranche in zehn Jahren aussehen?“ Zweitens: externen Rat einholen. 2006 beauftragte Lucke darum Berater des Fraunhofer-Instituts, das Potenzial der AÜW auszuloten. Die zwei wichtigsten Ratschläge lauteten: einen radikalen Ausbau der Eigenerzeugung und den Ausbau des Stromnetzes.
Manchmal leidet Michael Lucke unter seiner eigenen Umtriebigkeit. Trotz der Hitze des Sommers 2014 arbeitete er oft bei geschlossenem Fenster, weil er sonst wegen des Bau-lärms draußen sein eigenes Wort nicht mehr verstanden hätte. Für den Lärm ist er selbst verantwortlich: Seit einigen Monaten lässt er in der Innenstadt von Kempten ein neues Laufwasserkraftwerk bauen, direkt um die Ecke von seinem Arbeitsplatz, den Allgäuer Überlandwerken (AÜW).